Folk
[Kurzfassung; vollständige Fassung in Vorbereitung]
Zusammenfassung
Urwüchsige Gesänge – irisch inspiriert
Die Folkszene in der DDR entstand um die Mitte der 1970er Jahre. Auslöser war, wie bei der bundesdeutschen Szene auch, das Folkrevival in Irland. In den Achtzigern spielten zwischen Erzgebirge und Ostseeküste mehr als 100 Folkbands. Folkländer (Leipzig), Wacholder (Cottbus), Liedehrlich (Gera), Horch (Halle) und das Duo Piatkowski & Rieck (Rostock) waren die bekanntesten. Gesungen wurden von den meist studentischen Bands alte Volkslieder, nicht so schön wie Chöre oder Kunstliedsänger, nicht so brav wie die Volkskunstensembles, dafür urwüchsig und aus vollem Herzen. Ihr Publikum fand die Szene vor allem in den vielen Studenten- und Jugendklubs des Landes. Im Mittelpunkt stand nicht virtuoses Musizieren, sondern das Gemeinschaftserlebnis.
Ungewohntes Instrumentarium, rebellische Volkslieder
Exotisch wirkende Musikinstrumente wurden nicht selten abenteuerlich kombiniert –Konzertina, irische Tin whistle, Hackbrett, Drehleier und Dudelsack mit Gitarre, Mandoline, Waldzither, Banjo, Geige oder Akkordeon. Beliebte Rhythmusinstrumente waren besonders in der Anfangszeit Brummtopf und (Aluminium-)Löffel. Zunächst dominierte internationale Folklore, Irish Folk vor allem, doch bald entdeckte man das rebellische Potential im deutschen Volksliederbe jenseits von Heidenröslein und Am Brunnen vor dem Tore. Dass sich mithilfe von überlieferten Spott- und Klageliedern realsozialistische Ärgernisse in der DDR kritisieren ließen, verlieh der Sache zusätzlichen Reiz. Das passende Repertoire fand sich in Wolfgang Steinitz’ Sammlung Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten. Das zweibändige Werk, erschienen 1956 und 1962 in Ost-Berlin, avancierte zur „Bibel“ des Folkrevivals in beiden deutschen Staaten.
Volkstanz zum Mitmachen
In den 1980er Jahren holten DDR-Folkbands nach dem Vorbild der ungarischen Tanzhaus-Bewegung den Volkstanz von der Bühne zurück auf den Tanzboden. Binnen kurzer Zeit avancierte der Mitmach-Volkstanz zur Hauptattraktion der Szene. Ab 1986 richtete der Folkklub Leipzig ein jährliches internationales Tanzhausfest aus. Bis zu 1.000 Tänzer bevölkerten dann das Parkett der Leipziger Kongresshalle. Die Kontakte der Szene zum DDR-Tanzfest in Rudolstadt erleichterten nach 1990 dessen Neuprofilierung vom Bühnentanz-Festival zum renommierten internationalen Folk- und Weltmusikfestival.
Dudelsäcke im Eigenbau
In den 1980er Jahren war eine deutliche Differenzierung der Szene zu beobachten. Parallel zum Volkstanz-Boom gab es die Hinwendung zu Lied-Kabarett oder Kammermusik, Lyrik-Vertonungen, Klezmer oder Folkrock, Bordun- oder Mittelaltermusik. Dudelsäcke und Drehleiern wurden, weil es sie nicht im Laden zu kaufen gab, von handwerklich begabten Musikern selbst gebaut. Vom vormundschaftlichen Staat wurde die Folkszene einerseits großzügig gefördert, andererseits kleinlich gegängelt und misstrauisch überwacht.
Literaturempfehlungen
Elvira Heising, Sigrid Römer: Der Tanz im „künstlerischen Volksschaffen“ der DDR. Amateurbühnentanz – Volkstanz zum Mitmachen, Remscheid 1994 (= Informationen zum Tanz, Heft 21)
Wolfgang Leyn: Volkes Lied und Vater Staat. Die DDR-Folkszene 1976–1990, Berlin 2016
Horst Traut: Wir bauen all an einem Turm. Volkslieder von gestern und heute, Köln 1995
Anmerkungen
- F. Steinbiß: Deutsch-Folk: Auf der Suche nach der verlorenen Tradition, Frankfurt a. M. 1984, 10.